In Österreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn und der Slowakischen Republik gibt es eine rechtliche Besonderheit, dass Notare gerichtliche Funktionen ausüben, insbesondere in Erbsachen, aber auch in anderen Bereichen der Ziviljustiz (z. B. Familienrecht, Zahlungsbefehl). In Slowenien werden bereits seit einigen Jahren Überlegungen über die Einführung solcher Gerichtsfunktionen für Notare in Erbsachen angestellt. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte muss die Funktion des Notars als Gerichtsorgan im Kontext des EU-Rechtsrahmens eingehender geprüft werden.
Im Rahmen des Projekts wird für Österreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn und die Slowakische Republik der Begriff „Gericht“ im Sinne der EU-Erbrechtsverordnung im Zusammenhang mit von Notaren durchgeführten außergerichtlichen Gerichtsverfahren unter den Betrachtungspunkten der Rechtsvergleichung, der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit analysiert. Das Projekt wird auch Slowenien umfassen, wo politische Entscheidungsträger, Hochschulen und die Notariatskammer Überlegungen über die Übertragung von Gerichtsaufgaben auf Notare anstellen.
Vor diesem Hintergrund zielt das Projekt darauf ab, die Anwendung der EU-Erbrechtsverordnung durch eine bessere Kenntnis und ein besseres Verständnis der von Notaren in den oben genannten mitteleuropäischen Mitgliedstaaten ausgeübten gerichtlichen Aufgaben zu verbessern. Da der Begriff „Gericht“ durch die Erbrechtsverordnung und andere EU-Instrumente auf Angehörige von Rechtsberufen (z. B. Notare), die gerichtliche Aufgaben wahrnehmen, ausgeweitet wurde, zielt das Projekt darauf ab, gemeinsame Mindestverfahrensnormen festzulegen, die es ermöglichen, die im EU-Recht festgelegten Kriterien des Begriffs „Gericht“ zu erfüllen. Im Rahmen des Projekts werden auch Grundrechtsaspekte und Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit in den teilnehmenden Mitgliedstaaten analysiert. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen an die Gesetzgeber auf EU- und nationaler Ebene vorgelegt.
Der wirtschaftliche Teil des Projekts wird eine eingehende Analyse der Funktion der Notare als Gerichtskommissäre durchführen, um die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile zu bewerten, die sich aus diesen unstreitigen Gerichtsverfahren ergeben. Die Studie wird eine umfangreiche Datenerhebung umfassen, um wichtige wirtschaftliche und rechtliche Vorteile zu ermitteln und zu quantifizieren, die sich aus der Senkung der ex-post Rechtsausgaben einer Volkswirtschaft ergeben können. Die erhobenen Daten werden für die Entwicklung von Indikatoren verwendet, um eine umfassende Bestandsaufnahme der streitvermeidenden, präventiven Rechtsdienste zu ermöglichen, mit denen das Justizsystem entlastet werden soll. Zu diesem Zweck sind die Rechtsakte und die jeweiligen streitvermeidenden justiziellen Verfahren inhaltlich und in Bezug auf ihre Reichweite miteinander zu vergleichen, um nicht streitige Gerichtsverfahren im Europäischen Justizbarometer oder in der Arbeit der CEPEJ des Europarats besser widerzuspiegeln. Auf dieser Grundlage werden neue Indikatoren entwickelt. Zudem werden an die politischen Entscheidungsträger gerichtete Empfehlungen und Schlussfolgerungen entwickelt.
Als Beitrag zu einer besseren Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen durch bessere Verfahren, soll weiters für die Einzelfallbearbeitung und Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Zivilsachen ein spezialisierter Mechanismus für die Online-Zusammenarbeit für Notare in Gerichtsfunktion geschaffen werden, indem das ENN (European Notarial Network) des CNUE (Conseil des Notariats de l’Union européenne) erweitert wird und dadurch die Kommunikation zwischen Notaren, die in Europa gerichtliche Aufgaben wahrnehmen, erleichtert wird. Dies wird das gegenseitige Vertrauen in solche Verfahren stärken und Instrumente der gegenseitigen Amtshilfe wie das EJN in Zivil- und Handelssachen ergänzen.
Laufende Updates zum Projekt finden Sie unter www.juwili.eu.